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Ordensburg Tarwast (Tarvastu ordulinnus)


Tarvastu

 

Tarvastu vald

Viljandi maakond

 

Estland

GPS: +58° 14' 8.96", +25° 54' 4.05"

Beschreibung:

Ordensburg:

Tarwast im Fellinschen Kreise, 4-5 km westlich vom Wirzjaerw, auf einer Anhoehe umspuelt von dem in den See sich ergiessenden Baechlein von Tarwast, war ein Beischloss der Ordenskomturei Fellin. Die Pfarre Tarwast wird 1329 und 1366 genannt, doch die jedenfalls frueher erbaute Burg erst seit 1410 haeufig als Aufenthaltsort der Ordensmeister. Es sollte 1558 Kriegsmunition dorthin geschafft werden. In der Burg lebte der Meister Heinrich von Galen nach seiner Abdankung und starb dort 1557, ebenso hatte der Ordensmeister Fuerstenberg nach seinem Ruecktritt dort 1559 und 1560 seinen Wohnsitz. Nach dem Falle von Fellin ergab sich im August 1560 Tarwast den Moskowitern, doch 1561 nahm Chodkiewicz die Burg ein, die 1577 die Schweden besetzten. Schon 1477 und 1501 hatten die Moskowiter das Gebiet Tarwast ausgeraubt. Die Burg soll zu Ende des 16. Jahrh. durch eine Pulverexplosion zur Ruine geworden sein. Wie alte Plaene zeigen, war sie ungefaehr quadratisch angelegt, mit starker Ausweichung des Beringes an der Nordecke nach Westen, dem Haupttor an der Suedostseite und einem Muehlenanbau an der Nordostseite, zum Fluss hin, wie es scheint, zur befestigten Burg gehoerend.

 

Karl von Loewis of Menar: Burgenlexikon fuer Alt-Livland, Riga 1922



Vermutlich auf dem Platz einer estnischen Wallburg wurde im 14. Jahrhundert die Ordensburg Tarwast errichtet. Sie hatte lange Zeit den Status einer Wirtschaftsburg und war der Komturei Fellin zugeordnet. Versorgungstechnisch wichtigster Teil war wohl die am Bach Tarwast befindliche Muehle, die mit einem starken Turm befestigt war, der auch in die Verteidigung der Burg einbezogen wurde.

 

Ab dem 15. Jahrhundert erlangte Tarwast dann eine groessere politische Bedeutung, da ab 1410 nach den Aufzeichnungen eine Reihe von Ordensmeistern ihren Sitz dort nahmen und Besucher empfingen. Zu dieser Zeit setzte auch eine rege Bautaetigkeit ein, unter anderem wurden neue Gebaeudeteile mit Ziegelgewoelben errichtet und die Ringmauer in weiten Teilen mit Ziegelmauerwerk erhoeht und verstaerkt. Die Flaeche der Burg war relativ gross - 6.555 qm.

 

Im 16. Jahrhundert wurde die Burg im Nordischen Krieg u.a. 1577 bei der Einnahme durch die Schweden erheblich beschaedigt, gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es infolge einer Pulverexplosion weitere grosse Zerstoerungen, so dass ein Wiederaufbau der Ordensburg nicht mehr infrage kam.

 

Um diese Pulverexplosion rankt sich eine Legende:

"Berichtet wird von einer dunkelaeugigen polnischen Schoenheit, die die in der Burg dienenden jungen Maenner zum Narren hielt. Der letzte der von ihr verschmaehten Verehrer konnte seine Wut nicht im Zaum halten und erwuergte das Maedchen. Um den Mord zu verdecken warf er sein Opfer in den Burggraben, wo es spaeter gefunden wurde. Der Vater des Maedchens, der Kommandant der Burg, liess seinen Gram an seinen Untergebenen aus. Zwei Soldaten beschlossen der Bestrafung zu entfliehen und ihre Flucht dadurch zu verdecken, dass sie vorher die Pulvervorraete der Burg zur Explosion brachten. Die Fluechtigen wurden spaeter gefasst; der Geist des ermordeten Maedchens jedoch haust immer noch in den Mauern der Burg."


Auf dem Areal der Vorburg befindet sich das Erbbegraebnis der Familie von Mensenkampff, die die Herrschaft Tarwast mit dem nahegelegenen Gutshaus (abgebrannt 1905), seinerzeit bekannt fuer die Produktion von Schnaps, lange Zeit besassen. Im Jahr 1825 errichteten sie dort die noch heute vorhandene Kapelle im klassizistischem Stil mit pyramiden-foermigem Dach und saeulenverziertem Portikus.


Historisches Bild- und Kartenmaterial (Auswahl):
Grundriss 17. Jahrhundert (aus Tuulse)
Grundriss 1800 Brotze
Grundriss
Plan um 1656
Lageplan 1825 Paulucci
Ansicht 1825 Paulucci
Ansicht 1827 Ungern-Sternberg
Ansichtskarte 1886
Ansicht 1817 Brotze

Die schon bei Loewis of Menar aufgefuehrte Beschreibung der Burg ist auch heute noch gut nachvollziebar. Graeben, der von Wasser umgebene Burghuegel mit Ringmauer- und Gebaeuderesten sowie der Muehlenturm als Ruine sind noch gut erkennbar bzw. erhalten.

 

Vor den am nahegelegenen Bauernhof freilaufenden grossen Hunden sollte man Respekt, aber keine Angst haben. Bei mir hatten sie nach einer Handvoll Wuerstchen meine Anwesenheit weitestgehend akzeptiert. Empfehlenswert ist ein Besuch der Ordensburg nur von Maerz bis April, in der waermeren Jahreszeit ist vieles ueberwuchert und somit nicht unbedingt sehr uebersichtlich.

 

Die Ruine der Burg Tarwast ist in der offiziellen Denkmalschutzliste Estlands unter der Nummer 14673/548 seit 17.02.1998 als architektonisches Denkmal erfasst.


Zeittafel:


ab 1410

Aufenthaltsort der Ordensmeister

1557 starb hier der Ordensmeister Heinrich von Galen
1558
sollte Kriegsmunition auf die Burg geschafft werden
1559 und 1560
Wohnsitz des Ordensmeisters Wilhelm von Fuerstenberg
August 1560
Uebergabe an russische Truppen (im damaligen Sprachgebrauch Moskowiter) nach dem Fall von Fellin
1561
Besetzung durch polnische Truppen unter General Jan Karol Chodkiewicz
1577
Einnahme durch schwedische Truppen, erhebliche Zerstoerungen
Ende 16. Jh.
Zerstoerung durch eine Pulverexplosion

Fotos:


Album mit 30 Fotos


vor Ort

2010

Literaturauswahl und Links:


Loewis of Menar: Burgen-Lexikon fuer Alt-Livland, 1922
Tuulse: Die Burgen des Deutschen Ritterordens in Lettland und Estland, 1942
Fahne:
Livland - Ein Beitrag zur Kirchen- und Sittengeschichte, 1875 Reprint
Miltitzer, Klaus: 
Die Geschichte des Deutschen Ordens, Stuttgart 2005
Turnbull:
Crusader Castles of the Teutonic Knights (2), New York 2004
Borowski, Tomasz: Miasta, zamki i klasztory - Inflanty, Warschau 2010
Helme, Mart: Eestimaa Linnuste Teejuht, 2003
Urban, William: Teutonic Knights - A Military History, Reprint 2011

Chroniken aus dem 14. Jahrhundert:
Heinrich v. Lettland:
Livlaendische Chronik (Uebersetzung Bauer), Darmstadt 1959
Unbekannt:
Livlaendische Reimchronik (Ausgabe Pfeiffer), Stuttgart 1844
Hermann v. Wartberge:
Chronicon Livoniae (Ausgabe Strehlke), Berlin/Riga 1864 


Google Maps:
Satellitenbild



www.burgen-im-ordensland.de

 
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